Artikel im Tagesspiegel

March 20, 2006

Wo die Chemie stimmt

Aus der Krise heraus: Wie der Wissenschaftler Hans Schick den Sprung in die Selbstständigkeit schaffte

Am Wissenschaftsstandort Adlershof liegen Vergangenheit und Zukunft oft nah beieinander. Etwa zwischen Richard-Willstädter- und Magnusstraße: Die moderne Glas-Stahl-Beton-Fassade des neuen Zentrums für Nachhaltige Technologien kontrastiert mit dem Institut für Angewandte Chemie, das noch DDR-Charme ausstrahlt. „Das Gebäude wurde 1987 fertig gestellt“, berichtet Hans Schick. Damals war er Leiter des Zentralinstituts für Organische Chemie an der Akademie der Wissenschaften in Adlershof, heute ist er Geschäftsführer und Forschungsleiter der Angewandten Synthesechemie Adlershof (Asca). Dieses Unternehmen hat er vor rund fünf Jahren zusammen mit der Chemikerin Christine Wedler gegründet. „Mit eigenem Geld“, betont der 69-Jährige.

Jetzt gibt es 30 Mitarbeiter und genügend Aufträge, denn das Geschäft mit den Synthesen läuft gut. Doch die beiden Geschäftsführer haben außer der Tagesarbeit und dem Akquirieren von Aufträgen aus der Pharmabranche noch viel zu tun. Es wird eingepackt. Der Umzug steht bevor, raus aus den 20 Jahre alten Räumen voller Apparaturen aus Glaskolben, Heizpilzen und Kühlschlangen. Rein in die neuen Räume des Nachhaltigkeitszentrums. Der Einzug der Firma in den Neubau, der kürzlich feierlich eröffnet wurde, ist für die Woche nach Ostern geplant.

Symbolisiert der schicke Entwurf des Architekten Gunther Henn, der auch die Gläserne Manufaktur in Dresden geplant hat, die neue Zeit auch in Adlershof? Für die „Stadt für Wissenschaft, Wirtschaft und Medien“, wie Peter Strunk, Kommunikationschef der Betreibergesellschaft Wista-Management, den Standort im Süden Berlins gerne bezeichnet? Mit dem kühlen Entwurf fügt sich das Nachhaltigkeitszentrum jedenfalls gut in die Reihe moderner Institutsgebäude, die seit etwa zehn Jahren auf dem ehemaligen AdW-Gelände meist von namhaften Architekten errichtet wurden.

Für Mieter aus dem üblichen Spektrum – Ausgründungen aus Universitätsinstituten, der DDR-Akademie entstammende Existenzgründer oder Ableger etablierter Firmen – bietet das aus 27 Modulen zusammengesetzte Zentrum noch genügend Platz. Vier Module über zwei Etagen, das sind etwa 1175 der insgesamt 7200 Quadratmeter, werden von der Asca-Chemie belegt.

„Die Räume werden an die Bedürfnisse des Nutzers angepasst“, erzählt der Firmenchef Schick. Technik, Lüftung und Sicherheit moderner Labore erfordern erhebliche Investitionen. „Ich frage mich manchmal,warum ich als 69-Jähriger nicht nach Mallorca ausgewandert bin“, sagt Schick. Der weißhaarige, schmächtige Wissenschaftler lacht. Die Arbeit in der Firma mache eben immer noch Spaß.

Wir freuen uns auf die neuen Räume, sagt die Mitinhaberin Wedler, die für das Management zuständig ist. „Den Mitarbeitern gefällt das ganze Ambiente gut“, berichtet sie. Auf das Betriebsklima legen die Existenzgründer besonderen Wert. Schließlich haben sie die Nöte von Arbeitnehmern zur Genüge kennen gelernt, als sie sich nach der Wende unter schwierigen Bedingungen über Wasser halten mussten. Aus dem Zentralinstitut für Organische Chemie waren sie in das Institut für Angewandte Chemie Adlershof übergeleitet worden.

1996 sollten die Bereiche Organische Chemie und Polymere abgespalten werden. Rund 70 Chemikern drohte die Arbeitslosigkeit, doch Schick und Wedler suchten nach Alternativen. Mit Mitteln des Europäischen Strukturfonds und des Berliner Arbeitssenators konnte 1998 ein Modellprojekt gestartet werden. Das war unsere Lehrzeit, erzählt Schick. Gab es überhaupt einen Markt für Synthesechemie? Als es gelang, genügend Aufträge zu akquirieren, wagten die beiden Chemiker 2001 den Sprung in die Selbstständigkeit. „Mit schmalen Gehältern“, wie sie betonen.

Wir sind sehr froh, sagen sie jetzt, noch im alten, engen Institutsraum sitzend. Sie wollen soziale Unternehmer sein. Lieber mehr Weihnachtsgeld auszahlen als den Gewinn maximieren. So gelang es, die Zahl der Mitarbeiter in den letzten fünf Jahren zu verdoppeln. Darunter sind Kollegen, die den Weg aus DDR-Zeiten mitgegangen sind, ebenso wie junge Absolventen von Technischer oder Humboldt-Universität, von denen sie 2005 vier eingestellt haben. So mischen sich Erfahrung und neues Wissen. Das ist das Rezept, um die diffizilen Synthesen für pharmazeutische Wirkstoffe hinzukriegen, deren Herstellung in eigener Regie den Auftraggebern zu teuer ist.

Doch zum Erfolg trügen auch die Atmosphäre in Adlershof bei, der Kontakt unter Experten verschiedener Disziplinen, die kurzen Wege zwischen Unternehmen sowie inner- und außeruniversitären Forschungseinrichtungen, die Nähe zu Bibliotheken und Hörsälen. Auch die Wista, die Betreibergesellschaft des Technologieparks mit 400 Unternehmen und 18 wissenschaftlichen Instituten, sei hilfreich, jetzt vor allem beim Mieten und Beziehen der neuen Firmenräume.

Das Lob hört der Wista-Geschäftsführer Hardy Schmitz gerne. „Wissenschaftsnaher Unternehmer trifft unternehmerischen Wissenschaftler“, lautet sein Motto für Adlershof. Der 55-jährige Westfale mit den grau melierten Haaren ist seit vier Jahren auf dem Posten.

Seine Bilanz kann sich sehen lassen. Der Umsatz der Adlershofer Unternehmen ist 2005 auf 378 Millionen Euro, die Zahl der Mitarbeiter auf 3971 gestiegen, ein Wachstum von jeweils elf Prozent. Die Institute haben bei der Einwerbung von Drittmitteln in Höhe von 52 Millionen Euro um gut neun Prozent zugelegt. Auch die Adlershofer Medienstadt mit 142 Unternehmen und mehr als 1400 Beschäftigten kann zweistellige Steigerungsraten vorweisen. Im Gegensatz zum Zustand Berlins insgesamt boomt die südöstliche Satellitenstadt.

Das gilt auch für den Druckdienstleister Internet Access Berlin. „Mit unserem System können wir riesige Mengen von Geschäftspost erledigen“, sagt Geschäftsführer Roland Walter. Der Verfahrenstechniker machte sich 1997 als Kooperationspartner der Post selbstständig. Die Zahl der Mitarbeiter wuchs von anfangs drei auf jetzt knapp 40, die der Kunden auf etwa 60. Das Geschäftsprinzip fußt darauf, dass trotz weit gehender Automatisierung die Korrespondenz großer Firmen, besonders Rechnungen oder Mahnungen, immer noch auf dem Papierweg erfolgt. „Wir haben eine Software entwickelt, um das für die Unternehmen erledigen zu können“, erklärt Walter. Die von Kunden wie Gasag oder Bewag übermittelten Daten werden gesammelt, gefiltert, nach bestimmten Kriterien wie Gewicht und Zustellbezirk geordnet und gedruckt. Die Schreiben werden kuvertiert, frankiert und versandt.

Eine besondere Herausforderung für die Programmierer war es, unterschiedliche Datenformate unter einen Hut zu bekommen. Ebenso musste spezielle Software entwickelt werden, um auch externe Drucker antreiben zu können.

Die Büros gehen auf das gebäudehohe Atrium des Zentrums für Informations- und Medientechnologie hinaus, dessen imposante Glasfront auf die Albert-Einstein-Straße blickt. Teile der Druckerei sind ausgelagert. „Wir mussten öfter erweitern“, sagt Walter. Dass neue Räume stets in der Nähe zu finden waren, sieht er als Vorteil des weitläufigen Technologieparks, ebenso dessen kommunikative Atmosphäre und die Anbindung an die Autobahn. Seit letzter Woche ist der kurze Weg zum künftigen Berliner Großflughafen Schönefeld dazugekommen.

VORGESCHICHTE
Der Ortsteil Adlershof ist seit 1754 bekannt. 1912 etablierte sich die Deutsche Versuchsanstalt für Luftfahrt. Am 12. Mai 1941 stellte dort Konrad Zuse die Z3, den ersten vollautomatischen, frei programmierbaren Rechner vor.

DDR–ZEIT
Neben dem Deutschen Fernsehfunk waren auf dem Gelände auch neun Forschungsinstitute der Akademie der Wissenschaften. Im Herbst 1989 arbeiteten dort insgesamt 5500 Menschen.

NEUAUFBAU
Für das Gelände ist seit 1990 das Land Berlin zuständig. Am 12. März 1991, vor fast genau 15 Jahren, beschloss eine Konferenz Berliner Staatssekretäre, in Adlershof eine „integrierte Landschaft aus Wissenschaft und Wirtschaft aufzubauen.

MANAGEMENT
Im September 1991 wurde die Entwicklungsgesellschaft Adlershof gegründet, aus der 94 die Wista hervorging.

HUMBOLDT-UNI
2003 war der Umzug der mathematisch-naturwissenschaftlichen Fakultäten nach Adlershof abgeschlossen.

Von Paul Janositz

Quelle: Der Tagesspiegel, 20.03.2006